das Projekt "Stoffel" der Organisation Todt
Auf
Anregung von Generalfeldmarschall Erhard Milch, dem Leiter des Wirtschaftsstabes
der Luftwaffe, wurde im Februar 1944 ein „Jägerstab“ ins Leben gerufen, der
seine Arbeit am 1. März aufnahm. Seine einzige Aufgabe bestand darin, für eine
Erhöhung der Produktion von
Jagdflugzeugen zu sorgen. Neben einer Reduzierung der Typenvielfalt galt die
Verlagerung der Produktionsstätten unter die Erde als vordringliche Maßnahme.
Die Werke sollten als Bunkerwerke eingerichtet werden, damit sie für die
alliierten Bomber nicht mehr erreichbar waren. Mit der Durchführung der Baumaßnahmen,
die die höchste Dringlichkeitsstufe erhielten, wurde die „Organisation
Todt“ (OT) beauftragt. Dabei handelte es sich um eine nach ihrem Schöpfer,
dem Generalbevollmächtigten für die Bauwirtschaft Fritz Todt, benannte
halbmilitärische technische Spezialtruppe, die 1938 für den Bau des Westwalls
ins Leben gerufen worden war und während des Krieges militärische Bauwerke
errichtete. Bei der Suche nach geeignetem und sofort verfügbarem Baugelände
geriet der nordwestlich von Vaihingen gelegene aufgelassene Steinbruch der Fa. Baresel in den Blick der Planer, da er gegen das Enztal mit
einer rund 15 Meter starken Felswand abgeriegelt war. Er musste also, um als
Bunkerwerk zu dienen, nur mit einer Betondecke versehen werden. Außerdem wurde
er bereits seit einigen Monaten militärisch genutzt, und zwar für Versuche mit
den Marschflugkörpern V1
(Bezeichnung Fieseler Fi 103) – dafür war ein Katapult aufgebaut worden, das
Anfang April 1944 gesprengt wurde, als die Vermessungsarbeiten für das neue
Projekt begannen. Die Betonfundamente der Startrampe sind heute noch am
westlichen Teil des Gebietes zu sehen. (LINK) Die Verladung der Teile auf die Bahn konnte so Idealerweise im
Schatten des Schotterwerks erfolgen. Diese Marschflugkörper wurden bereits
getestet! (Zeitzeugenbericht Fr. Wendelgard von Staden: ...“Die Versuche der
V1 waren insbesondere in der Abenddämmerung wegen ihrer glühenden Rückstoßgase
gut zu beobachten. Des weiteren war ein Gerüst dazu gut erkennbar“....)
Das
Vorhaben wurde jedoch bald auf ein anderes Projekt umgeplant: Die ME 262 sollte
dort zusammengebaut werde und mit der geplanten Rampe am Steinbruch direkt übers
Tal hinauskatapultiert werden.
Die Auswirkung dieser Planungen bekamen die Vaihinger zu spüren, als Anfang
April 1944 plötzlich mehrere Hundert Bauarbeiter in Vaihingen auftauchten, die
in der Volksschule, in Gasthäusern und in Privatquartieren untergebracht
wurden. Das weiträumig abgesperrte Gebiet im Nordwesten der Stadt verwandelte
sich in eine riesige, unter dem Decknamen „Stoffel“
geführte Baustelle, auf der ein ganzes System von Ladegleisen entstand. Ein
Zeitzeuge notierte in seinem Tagebuch ...„Für die Fa. Messerschmidt wurde ein
Bauwerk eingerichtet“... – (Tagebucheintrag 7.4.1944 Hr. Wimmersdorf,
Vaihingen/Enz.).
In unmittelbarer Nachbarschaft wurden zahlreiche Baracken errichtet, die als
Materiallager und als Unterkünfte für die Bauarbeiter dienten. Neben zivilen
Ingenieuren und den OT-Männern wurden noch „Reichsdeutsche“ aus Rumänien
und Jugoslawien eingesetzt sowie ein ganzes Heer von Fremdarbeitern, die man
mehr oder weniger freiwillig nach Deutschland geholt hatte. Für sie wurde im
Gebiet „Egelsee“ ein großes Barackenlager eingerichtet, in dem bis zu
1’000 Männer untergebracht waren.
Im abgelegenen „Glattbachtal“ entstand außerdem ein Konzentrationslager,
welches am 15. 10. 1944 mit 2183 Häftlingen belegt war. (Quelle:
Stadtbibliothek Ludwigsburg). Gezählt wurden alle Arbeiter, auch die kranken. Die Fertigstellung hatte „höchste
Dringlichkeit“. Es wurde Tag und Nacht gearbeitet. Ein 12 Std.-Tag war normal.
Später wurde auf 3x8 Stunden die Schichtarbeit verteilt. „Das hämmern der
Pressluftbohrer war den ganzen Tag und die ganze Nacht zu hören...“
(Zeitzeuge Hr. Bader). Es handelte sich entgegen anderer Quellen nicht ausschließlich
um Juden aus dem Radomer Kreis, sondern auch um politische Häftlinge, Polen,
Rumänen und Russen. Die Polen und Russen wurden von der Bevölkerung gerne zur
Ernte eingesetzt. Hierzu musste von den Betrieben ein festgesetzter Tageslohn
von 4,12 Reichsmark entrichtet werden. (Quelle: Stadtbibliothek Ludwigsburg). Heute
ist auf dem Gebiet dieses ehemaligen Arbeitslagers ein überdachtes
Denkmal errichtet worden. Das alte Wasserwerk aus der Gründerzeit daneben ist
zum Glück auch erhalten geblieben.
Fotos von der Baustelle lassen erkennen, dass zumindest im östlichen Teil die Pfeiler
bereits den oberen Rand der Grube erreicht hatten und dort mit dem Betonieren
der Decke hätte begonnen werden können, während im westlichen Teil lediglich
die Fundamente für die Pfeiler gegossen worden waren.
Die näherrückende Front ließ jedoch die Aussichtslosigkeit des Beginnens
deutlich werden, und so wurde die Baustelle im Oktober 1944 aufgegeben. Von der
Vaihinger Bevölkerung wurde dies bemerkt, da sich schlagartig die Wachen aufgelöst
hatten.
Viele der Zwangsarbeiter waren dann in der Stadt zu sehen.
Die
Baustelle „Stoffel“ wurde von der alliierten Luftaufklärung entdeckt und
mehrfach fotografiert. Die daraufhin geflogenen Bombenangriffe erfolgten jedoch
mit kleineren Jagdbombern, die ihre tödliche Last relativ zielgenau über der
Baustelle entluden. Die Stadt selbst war glücklicherweise nie Ziel der
grausigen Bombardements der Alliierten.
Heute zeugt nur noch der Stollen, welcher zweifach zugemauert wurde, nachdem ein Kind in den Gängen verunglückt ist, von den damaligen Projekten. Ein ehemaliger Strommast daneben ist ebenso noch erhalten geblieben. Die Gleisanschlüsse im heutigen Industriegebiet sind Zeugen dieses Projekts. Nach dem Wirtschaftsförderungsplan der Stadt Vaihingen/Enz versuchte man, ab 01.01.1955, mehrere Firmen dort anzusiedeln.
(Luftbilder stehen in meinem privaten Besitz, dürfen leider wegen der Rechte nicht im Internet veröffentlicht werden)
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-> Link: Dokumentationsseite zum ehemaligen Flugzeugwerk REIMHAG